Braucht es die Kirchen noch in der Kultur der Digitalität?

Kommunikation in der „Kultur der Digitalität“ (Felix Stalder) fordert die institutionell verfassten Kirchen in Deutschland heraus. Gemeinsam mit dem Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg) veranstaltete die Evangelische Akademie Loccum deswegen vom 22. bis 24. Juni 2018 eine Fachkonferenz zur digitalen Kommunikation als kirchliche Herausforderung. Mit einer hochkarätigen Mischung aus kirchlichen Praktiker*innen, Wissenschaftler*innen, Blogger*innen und Kirchenleitenden bot die Konferenz einen umfassenden Einblick in das Themenfeld und die kontroverse Diskussion auf dem Weg zu einer digitalen Kirche. Denn dass es die Kirchen in ihrer diakonischen, seelsorgerischen und ethischen Funktion auch digital braucht, daran hatten die Teilnehmer*innen keinen Zweifel.

„Wir müssen hin zu diesen fremden Orten“ ermutigen „Die Kirchenbotschafter“ der Nordkirche eine eher digitalskeptische evangelische Kirche.

Deutlich wurde in der Diskussion, dass die Digitalisierung nicht zuvorderst eine technische Frage, sondern eine Frage des kulturellen Wandels darstellt. Die durch Digitalisierung „wie durch einen großen Scheinwerfer“ (Michael Brinkmann) sichtbar werdenden Defizite und einhergehende Krisenstimmung könnten eine Chance für eine grundsätzliche Selbstfindung sein, die eine Erneuerung über die technische Infrastruktur hinaus befruchten könnte.

Loccumer Studienleiterin Julia Koll im Gespräch mit EKD-Kommunikationschef Michael Brinkmann, Regionalbischöfin Petra Bahr, Netzjournalist Ingo Dachwitz und Jonas Bedford-Strohm (Foto: Karsten Kopjar)

Dabei sei entscheidend, so Prof. Dr. Alexander Filipovic, dass man sich nicht naiv „vor den Karren der Bedenkenträger“ spannen lasse, sondern in der gegenwärtigen Praxis neugierig nach „noch nicht ganz verwirklichten normativen Potenzialen“ zu suchen und dann tatkräftig dabei mitzuhelfen, diese Potenziale wirklich werden zu lassen. Dabei können diese normativen Potenziale als kritisches Ideal auch dann eingebracht werden, wenn die vollständige Verwirklichung unmöglich oder auf kurze Sicht unrealistisch sei. Eine solche kritisch-konstruktive Zeitgenossenschaft sei der Modus, in dem sich kirchliche Akteure mit hilfreichen, orientierenden Beiträgen im gesellschaftlichen Diskurs zu digitalethischen Fragen einbringen und praktisch Digitalpraxis vorleben könne, so Filipovic.

Prof. Dr. Filipovic über die Kirchen und das „Salz der Digitalität“ (Foto: Evangelische Akademie Loccum)

Dr. Kristin Merle (Tübingen) eröffnete die Tagung mit dem Hinweis, dass Mediengestaltung immer als soziale Aushandlungsprozesse zu begreifen seien. Dass dieser Aushandlungs- und Gestaltungsprozess in regem Gange ist, zeigt die Auswertung des Hashtags #DigitaleKirche von aserto im Auftrag der EKD. Das Engagement der Beteiligten und die Reichweite der Diskussionen wurde durch die Tagung in Loccum vervielfacht und stark intensiviert:

Weitere Perspektiven auf die Tagung und die Themen finden Sie von Christoph Breit im Blog KircheDigital, von Markus Bechthold auf dem Portal evangelisch.de, Philipp Greifenstein im Online-Magazin Die Eule, von Ralph-Peter Reimann im Blog TheoNet, sowie unter den Hashtags #DigitaleKirche und #Loccum auf Twitter.

 

Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau Volker Jung, Professorin für Christliche Publizistik Johanna Haberer und Kommunikationschef der Landeskirche Hannovers Motoki Tonn stellen sich den Fragen von Jonas Bedford-Strohm

In eigener zem::dg-Sache: Ein herzliches Dankeschön an die Kooperationspartner der Evangelischen Akademie Loccum!

 

Politische Partizipation in Digitalen Öffentlichkeiten

Fachkonferenz mit Theorie-Praxis-Dialog

Im Zuge der viel diskutierten „Digitalisierung“ verändert sich die Formation von politischen Öffentlichkeiten. Die Debatten um Filterblasen lassen die gesellschaftliche Verunsicherung dabei sichtbar werden: Die Kultur und Technik der Digitalität wird mit der Entstehung und Beförderung von Populismus genauso in Verbindung gebracht wie mit der heftigen Kritik an den als integrativ angesehenen Medien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der großen Zeitungsverlage. Wie ist und wird Beteiligung an demokratischer Meinungsbildung und Entscheidungsfindung unter diesen veränderten Bedingungen möglich?

Diskutieren Sie den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit anhand von vier Fallstudien bei unserem Fachgesprch an der Humboldt-Universität zu Berlin: Wahlkampf in Deutschland, digitale Transformation von Medienhäusern, der Evangelische Kirchentag und politische Partizipation in der arabischen Welt.

Die Tagung wird vom Berlin Institute for Public Theology gestaltet und findet in Kooperation mit dem Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gestaltung statt. Sie wird von der Hanns Martin Schleyer-Stiftung/Heinz Nixdorf Stiftung gefördert.

Die Veranstaltung findet statt mit:

Mit MdB Dr. Petra Sitte (Digital-Ausschuss Deutscher Bundestag), Stephan Dörner (Chefredakteur t3n Magazin), Florian Stickel (Chefredakteur Microsoft DE), Lisa Zauner (Head of Digital 1LIVE), Ingo Dachwitz (netzpolitik.org), Malte Kosub (Geschäftsführer Future of Voice) und Dr. Stefanie Rentsch (Deutscher Evangelischer Kirchentag).

Mit Prof. Dr. Gary Schaal (Hamburg), Prof. Dr. Sigrid Baringhorst (Siegen), Prof. Dr. Torsten Meireis (Berlin Institute for Public Theology), Prof. Dr. Alexander Filipovic (Zentrum für Ethik der Medien und der Digitalen Gesellschaft – zem::dg), Prof. Dr. Ilona Nord (Würzburg), Dr. Asiem El-Difraoui (Berlin) und Univ.-Prof. DDr. Christina Schachtner (Klagenfurt).

Herzliche Einladung!

Organisatorische Hinweise

Wann? 15. und 16. Juni 2018

Wo? Humboldt-Universität zu Berlin, Theologische Fakultät, Berlin Institute for Public Theology, 10099 Berlin

Anmeldung: Bitte per Mail unter bettina.schoen@hu-berlin.de

Kosten: Die Teilnahme ist kostenfrei

 

Weitere Infos entnehmen Sie bitte unserem Veranstaltungsflyer.

 

Zwischen Fitnesswahn und Fairnesskult

Zum kontroversen Verhältnis von Sport und Religion

 

Heiliger Rasen – Fußballgötter – pilgernde Fans:

Ob in den  Medien oder am Stammtisch, das Sprechen über Sport ist von religiösen Metaphern durchsetzt. Choreografien, das gemeinsame Singen der immer gleichen Lieder und vieles mehr verleihen Sportevents einen nahezu liturgischen Charakter.

Hat der Sport für viele Menschen etwa tatsächlich die sinnstiftende Funktion der Religion übernommen? Wie positionieren sich religiöse Sportlerinnen und Sportler dazu? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der Diskussionsabend „Zwischen Fitnesswahn und Fairnesskult. Zum kontroversen Verhältnis von Sport und Religion“ am 17. April 2018. 

Termin: Dienstag, 17. April 18:30 – 20:00
OrtHochschule für Philosophie München, Kaulbachstr. 31, 80539 München

Herzliche Einladung! Eine Anmeldung ist nicht nötig.

Diese Veranstaltung auf Facebook anschauen.

Gäste:

  • Prof. Dr. Gunter Gebauer (Institut für Philosophie an der Freien Universität Berlin)
  • Prof. Dr. Alexander Filipovic (Lehrstuhl für Medienethik, Hochschule für Philosophie München) – Moderation
  • Dr. Juliane Fischer (Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern)

Die Diskussionsreihe „Ethik des Sports: Reflexionen zu Sinn, Kommerz und Macht“ wird veranstaltet vom Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg) in Kooperation mit dem Institut für Ethik und Sozialphilosophie (IES) der Hochschule für Philosophie München.

Weitere Abende in der Reihe „Sport und Ethik“:

  • 15. Mai 2018: Sportjournalismus als Hofberichterstattung? Zum engen Verhältnis von Sport und Medien
  • 12. Juni 2018: Stadion und Favela – Brot und Spiele? Zum spannungsreichen Verhältnis von Sport und Politik

Die Moral der Maschinen

Rückblick auf den Katholischen Medienkongress 2017

„Es ist erst der Anfang …“, unter diesem Titel fand der Katholische Medienkongress Anfang dieser Woche in Bonn statt. Und der Titel war programmatisch: Nicht nur beschrieb er treffend die inhaltliche Fokussierung der einzelnen Panels; vielmehr schien er auch die Teilnehmenden dazu zu ermutigen, optimistisch in die Zukunft zu blicken, um die Digitalität wertestiftend mit zu gestalten.

Das wurde auch in unserem Panel deutlich. Das Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft war Pate des sehr gut besuchten Panel 3 „Die Moral der Maschinen“ und somit auch für dessen Gestaltung verantwortlich. Während Prof. Dr. Klaus-Dieter Altmeppen das Panel moderierte, bereicherte Prof. Dr. Alexander Filipović die Diskussion mit seiner philosophischen Perspektive auf das Thema. Neben den beiden Leitern des zem::dg trugen Nele Heise, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Referentin an der Universität Hamburg und Prof. Dr. Petra Grimm, Dozentin für Medienforschung und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule der Medien in Stuttgart und Leiterin des Instituts für Digitale Ethik mit ihren Perspektiven zu einer differenzierten und praxisnahen Auseinandersetzung mit dem Thema bei.

"Welches Mediensystem haben wir und welches Mediensystem brauchen wir?"

Diese zentrale Frage beherrschte das spannende Gespräch sowie die Podiumsdiskussion. Denn dass es bei allem technischen Fortschritt immer auch um die Frage nach uns selbst und wie wir uns eine gute und lebenswerte Gesellschaft vorstellen geht, das stand im Zentrum all der vielfältigen und inspirierenden Stellungnahmen zum Thema. Algorithmen dominieren – in all ihrer Vielseitigkeit – immer stärker unser Leben. Das wirft wichtige ethische Fragestellungen auf. Diese Feststellung war bei allen Panel-Teilnehmern Konsens. Doch wie können und sollten wir hiermit umgehen? Können Algorithmen reguliert werden? Und was bedeuten Algorithmen für Begriffe wie „Medienkompetenz“ und „Medienbildung“? Dass gerade in diesem Bereich auch ein kreativer und produktiver Zugang hilfreich ist, betonte Nele Heise. Sie verwies hierzu exemplarisch auf die Projekte „Creative Gaming“ und „Jugendhackt“.

Das Panel zeigte auf, wie wichtig Transparenz, Datensicherheit und aber auch verantwortungsvolle Geschäftsmodelle der Medien- und Technologieanbieter sind. Dass die Kirchen als Impulsgeber hierbei eine wichtige Rolle spielen, wurde hier – aber auch bei den anderen Veranstaltungen des Kongresses – deutlich.

Es ist erst der Anfang – und noch haben wir die Möglichkeit, die Weichen zu stellen. Dass hierzu auch der medienethische Blick von zentraler Bedeutung ist, das betonte Reinhard Kardinal Marx in seinem Abschlusswort zum Kongress und nannte hierzu als positives Beispiel den Lehrstuhl für Medienethik in München.

Der Katholische Medienkongress 2017: Ein wichtiger Impulsgeber für mehr Sensibilität und Bewusstsein im Umgang mit den digitalen Medien.

„Daten alleine gewinnen keine Wahlen!“ Eine kritische Analyse der Berichterstattung zur Psychometrie im Wahlkampf

Die Debatte um psychometrische Analysen von Wählerinnen und Wählern im US-Wahlkampf erzeugt vor der Bundestagswahl 2017 auch in Deutschland immer wieder Wellen der Aufmerksamkeit. Sie ist durchsetzt von der subtilen Macht der Manipulation – allerdings nicht nur, wie meist angenommen, durch die dunklen, hyperintelligenten Datenmächte, sondern auch durch plausible, aber fragwürdige Narrative in der Berichterstattung. Eine kritische Analyse von Thema und Präsentation ist angesagt.

Seit Hannes Grassegger mit einem Artikel über die Datenfirma Cambridge Analytica das Thema der Psychometrie auf die Agenda gesetzt hat, wird die Frage der Datennutzung regelmäßig diskutiert – mal mit beruhigendem Tonfall („Da ist gar nichts Neues dabei!“) und mal mit alarmistischem Tonfall („Alles ist neu und die Welt geht den Bach runter!“).

Mindestens zwei Ebenen sind auseinander zu halten: 1. Was ist technisch möglich und wird in den verschiedenen Lebensbereichen eingesetzt? Und 2. Welche Rolle haben diese Technologien politisch in der US-Wahl gespielt? Die Grundthese dieser Reflektion ist, dass 1. technisch schon beeindruckend viel möglich ist, aber 2. die Rolle dieser Technologien in der US-Wahl 2016 sehr klein und nicht wahlentscheidend war.

Stanford-Professor Michael Kosinski, der in Grasseggers Artikel zur Methodik digitaler Psychometrie befragt wird, sorgte kürzlich für eine neue Welle der Empörung. Algorithmen, so Kosinski, könnten bald die politische Orientierung und den IQ vom Gesicht eines Wählers ablesen. Dass so etwas möglich ist, zeigte er mit einem hier beschriebenen Algorithmus, der in 81 Prozent der Fälle die sexuelle Orientierung von Männern richtig erkennen konnte. Sollten diese Technologien tatsächlich praktisch einsatzfähig werden, stellen sich eine ungeheure Menge an digitalethischen Fragen, die noch nicht im Ansatz hinreichend erforscht sind.

Für das Verständnis des politischen Einflusses der schon genutzten Technologien wie das Microtargeting auf Facebook hilft eine Einordnung in die langfristige Entwicklung weiter. Auch nach einer Reihe von kritischen Antworten auf Grasseggers Artikel in Deutschland und den USA hält sich leider in der einschlägigen Berichterstattung die Ansicht, es sei die Trump-Kampagne gewesen, die das Microtargeting von Facebook, das schon seit Jahren von Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren genutzt wird, zum ersten Mal in die Politik gebracht hätte. Das ist falsch.

Obama und Clinton haben beide seit vielen Jahren umfangreiche Datenteams im Einsatz. Viele der Ideen im digitalen Wahlkampf beruhen auf Lifetargeting-Strategien, die schon von Bill Clinton und George W. Bush verwendet wurden, sind seit über einem Jahrzehnt im Standard-Repertoire aller politischen Kampagnen in den USA. (Das einschlägige Buch dazu ist Applebee’s America: How Successful Political, Business, and Religious Leaders Connect with the New American Community. Es wurde 2007 von Clinton-Berater Doug Sosnik und Bush-Berater Matthew Dowd mit dem Journalisten Ron Fournier veröffentlicht.) Schon 2004 begannen die Demokraten das Internet als Raum zu verstehen, in dem die Kampagnen der Zukunft entschieden werden würden. Nicco Mele, Digitalstratege der Kampagne von Howard Dean, war einer der Pioniere in der Nutzung von digitaler Technologie und Social Media, und hat damit das politische Fundraising und die amerikanische Politik revolutioniert. Auch die Obama-Kampagnen griffen auf die Erfahrung aus Meles Arbeit für die Dean-Kampagne zurück.

Mele leitet mittlerweile das Shorenstein Center für Medien und Politik an der Harvard-Universität und hat ein Buch darüber geschrieben, wie das Internet den vermeintlichen Underdog David zum neuen Goliath macht. Passagen des Buches lesen sich wie eine Prophezeiung des Erfolgs von Donald Trump. Entsprechend war Mele einer der wenigen, die schon seit Herbst 2015 in einem Blog-Post erklärte, dass die – auch durch digitale Transformation begünstigten – langfristigen Entwicklungen in einem Trump-Gewinn 2016 kulminieren würden. Cambridge Analytica war dafür nicht nötig.

Ein kritischer Blick auf eine spekulationsreiche Debatte in 5 wichtigen Punkten:

1. Cambridge Analytica ist sehr gut in der Vermarktung von wenig Substanz und hat dabei nicht immer die Wahrheit gesagt.

Die New York Times schrieb im Juni 2017 über die Unstimmigkeiten in den Erzählungen der Vertreter von Cambridge Analytica. Diese gestehen jetzt ein, dass „die Firma nie Pschometrie in der Trump-Kampagne verwendet hat. Camebridge Analytica wird zwar durch die Werbematerialien der Firma und die Berichterstattung der Medien als Meister der dunklen Kampagnen-Künste präsentiert. Die Technologie bleibt aber unbelegt, so ehemalige Mitarbeiter und Republikaner, die die Arbeit der Firma kennen.“

2. Der Fall zeigt die Manipulierbarkeit der Massen nicht nur in Form von Datennutzung durch Kampagnen, sondern auch durch effektives Storytelling und das Ausnutzen des Belief Bias durch Cambridge Analytica.
Heidi Tworek analysierte im Mai 2017 im Blog des Nieman Labs an der Harvard-Universität: „Mit Cambridge Analytica sind wir gleich wieder bei der alten neuen Vision der Sozialpsychologie und der Massenpsychose, die von Gustave Le Bon in 1895 popularisiert wurde. Die harten Beweise für den Einfluss von Cambridge Analytica sind im besten Fall dubios. Das Unternehmen arbeitete zunächst mit Ted Cruz und wechselte erst zu Trump als Cruz zurückzog.“ Die Firma „hat sich erfolgreich in den Fokus hinein vermarktet. Aber wir bräuchten viel mehr Informationen, um zu wissen, ob ihre Techniken einen kausalen Einfluss hatten. Es gibt Hinweise darauf, dass das Trump-Team die Dienste von Cambridge Analytica in den letzten Wochen der Kampagne nicht einmal in Anspruch genommen hat.“

3. Mitarbeiter von Trumps Kampagne haben von Anfang an gegen das Cambridge-Narrativ angeschrieben, allerdings haben sie in Deutschland keine Resonanz damit gefunden.
Gerrit Lansing, Chief Digital Officer von Trump, hat Nix auf Twittersofort als Lügner gebrandmarkt. Gary Coby, Director of Digital Advertising für Trump, hat auf Twittererklärt, Cambridge sei nicht wahlentscheidend gewesen und Psychographen würden ebenfalls nicht von der Kampagne benutzt. Zwar sind Verlautbarungen von Mitarbeitern der Trump-Kampagne nicht ohne weiteres als gesicherte Information zu verstehen. In der Berichterstattung zum Thema müssten solche Stimmen aber zumindest vorkommen.

4. Was Nix als „psychometrisches Targeting“ beschreibt, ist vor allem Spekulation, die ohne ausreichende Datengrundlage mit einer guten Geschichte Erfolg erzielt hat, weil sie plausibel ist.
Dave Karpf hat mehrere gute Artikel geschrieben, in denen er die Marketing-Aktivitäten von Datenfirmen im Wahlkampf kritisch analysiert. Alle drei protestieren gegen das Reinfallen auf simple Marketing-Tricks und sind Pflichtlektüre für alle, die sich mit dem Thema auseinander setzen: Retrospective WishcastingWill The Real Psychometric Targeters Please Stand UpPreparing for the Campaign Tech Bullshit Season

5. Viele der Datenanalyse-Tools sind in den USA seit Jahrzehnten in Gebrauch und in den letzten Jahren nur graduell verbessert worden. Sie sind keine Wunderwaffe.
Wenn Kritik an Datennutzung in Wahlkämpfen formuliert wird, dann sollte sie unabhängig von Trump formuliert werden, denn die Datenanalyse-Tools wurden in den letzten zwei Jahrzehnten von nahezu allen Kandidaten in nahezu allen Kampagnen in Bund und Ländern in den USA benutzt. Hier spricht Reince Priebus (Vorsitzender des Nationalkommittees der Republikaner während der Trump-Kampagne) über die vielen Millionen Dollar, die sein Team in Daten investiert hat, und die Nutzung dieser Daten, um Orte zu identifizieren, die für Republikaner ungehobene Wählerpotenziale bereit hält. Exklusiv von den Republikanern wurde die Methode des Lifetargetings aber nicht eingesetzt.

Im Gegenteil: Hier spricht Obamas Kampagnenmanager Messina über die umfangreiche Nutzung von Daten in 2012. Auch schon Bill Clinton und George W. Bush haben Techniken des Lifetargetings benutzt, wie es in Applebee’s America von ihren Beratern anschaulich beschrieben wird. Anders als in Deutschland sind diese Verfahren in den USA also seit Jahren gang und gäbe. Einige Insider gehen so weit, Hillary Clintons Daten-Team als „most sophisticated data team in history“ und als Symbol des Versagens von Datenanalyse zu bezeichnen. Die Anzeichen mehren sich, dass Clinton bessere Daten zur Verfügung hatte, diese Daten aber nichts ohne eine „gut values connection“ sind, wie sie von Berater Doug Sosnik beschrieben wird.

Was also können wir aus der US-Wahl 2016 für das Verständnis der technologischen Entwicklung und ihren Einfluss auf Wahlkämpfe wirklich lernen?

Die Analyse von Hillary Clintons Datenoperation um Algorithmus Ada dreht die Logik der Berichterstattung zumindest potenziell auf den Kopf: Nicht Trumps Erfolg wäre ein Ausweis der Effektivität von digitaler Datennutzung, sondern Clintons Misserfolg wäre ein Ausweis für den Mangel an Effektivität von Datennutzung alleine. Allerdings gibt es auch Stimmen, die die Fähigkeiten von Ada anzweifeln.

Selbst wenn die Datenoperationen von Clinton und Trump gleichauf lagen: Technologie ist nicht alles. Der Wert der traditionell wichtigen Talente sollte daher in der Berichterstattung wieder mehr in den Vordergrund rücken. Politische Intuition, das ganz analoge Verstehen der Lebenswelt der Wähler, emotionale Intelligenz und eine robuste Vision für die Zukunft bleiben nach wie vor entscheidend. Daten alleine gewinnen keine Wahlen!

Der Fokus auf Technologie, vermischt mit der inhaltlichen Sympathie für Clinton, verstellt Deutschen zu oft den Blick dafür, dass Donald Trump in diesen Kategorien Hillary Clinton das Wasser reichen konnte. Während New York Times und Huffington Post eine Trump-Wahl für unmöglich erklärten, war Trump in der Lage ohne die Unterstützung dieser mächtigen Medien eine direkte Beziehung zu vielen Menschen in den vergesseneren Regionen der USA zu bauen, die nach nicht durch Technologie, sondern nur durch traditionelles politisches Talent wirklich zu erklären ist.

Das sollte uns zu denken geben.