Arbeiten nach Zahlen

Alexander Filipović & Jonas Bedford-Strohm äußern sich zum Thema "Algorithmen" in einem Projekt der Katholischen Journalistenschule

Startseite des Projekts "Arbeiten nach Zahlen"

Sie bestimmen unseren (digitalen) Alltag – und werden dabei kaum wahrgenommen: Algorithmen sind der unsichtbare Chef, der uns per Navigationssystem auf dem kürzesten Weg zur Arbeit lotst, der uns eine gefällige Musikauswahl zusammenstellt und bestimmt, ob die Personaler unsere Bewerbung überhaupt erst zu Gesicht bekommen. Eine großartige Arbeitserleichterung oder computergesteuerte Fremdbestimmung?

Der Volontärsjahrgang 2016/2 der katholischen Journalistenschule ifp in München hat sich eine Woche lang mit dem Thema „Algorithmen“ beschäftigt. Für die Frage danach, wie das Thema aus medienethischer Perspektive zu bewerten ist, haben sich die Autorinnen und Autoren an das Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg) gewandt.

Alexander Filipović im Beitrag: Der Code, dein bedenkenloser Chef

Im Beitrag „Der Code, dein bedenkenloser Chef“ von Felicia Schuld und Sebastian Kirschner betont der Leiter des zem::dg, dass – wenn Maschinen de Menschen bewerten – Programmierer und Unternehmer sich bereits frühzeitig mit den Fragen von Ethik und Moral beschäftigen müssen. Denn: Nur so können sie beim Programmieren ein ethisches Bewusstsein entwickeln.

Den vollständigen Beitrag können Sie unter diesem Link nachlesen:

Jonas Bedford-Strohm im Beitrag: Algorithmus statt Journalismus

Um Roboter-Journalismus und die Frage, wie Algorithmen Journalismus verändern, geht es im Beitrag „Algorithmus statt Journalismus“ von Roland Müller und Christoph Koitka. Jonas Bedford-Strohm, assoziierter Mitarbeiter des zem::dg, schildert darin, wie Innovation im Journalismus funktioniert. Sein Statement hierzu: „Innovation ist zehn Prozent Kreativleistung und 90 Prozent Drecksarbeit!“

Den vollständigen Beitrag können Sie unter diesem Link nachlesen:

Die Moral der Maschinen

Rückblick auf den Katholischen Medienkongress 2017

„Es ist erst der Anfang …“, unter diesem Titel fand der Katholische Medienkongress Anfang dieser Woche in Bonn statt. Und der Titel war programmatisch: Nicht nur beschrieb er treffend die inhaltliche Fokussierung der einzelnen Panels; vielmehr schien er auch die Teilnehmenden dazu zu ermutigen, optimistisch in die Zukunft zu blicken, um die Digitalität wertestiftend mit zu gestalten.

Das wurde auch in unserem Panel deutlich. Das Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft war Pate des sehr gut besuchten Panel 3 „Die Moral der Maschinen“ und somit auch für dessen Gestaltung verantwortlich. Während Prof. Dr. Klaus-Dieter Altmeppen das Panel moderierte, bereicherte Prof. Dr. Alexander Filipović die Diskussion mit seiner philosophischen Perspektive auf das Thema. Neben den beiden Leitern des zem::dg trugen Nele Heise, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Referentin an der Universität Hamburg und Prof. Dr. Petra Grimm, Dozentin für Medienforschung und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule der Medien in Stuttgart und Leiterin des Instituts für Digitale Ethik mit ihren Perspektiven zu einer differenzierten und praxisnahen Auseinandersetzung mit dem Thema bei.

"Welches Mediensystem haben wir und welches Mediensystem brauchen wir?"

Diese zentrale Frage beherrschte das spannende Gespräch sowie die Podiumsdiskussion. Denn dass es bei allem technischen Fortschritt immer auch um die Frage nach uns selbst und wie wir uns eine gute und lebenswerte Gesellschaft vorstellen geht, das stand im Zentrum all der vielfältigen und inspirierenden Stellungnahmen zum Thema. Algorithmen dominieren – in all ihrer Vielseitigkeit – immer stärker unser Leben. Das wirft wichtige ethische Fragestellungen auf. Diese Feststellung war bei allen Panel-Teilnehmern Konsens. Doch wie können und sollten wir hiermit umgehen? Können Algorithmen reguliert werden? Und was bedeuten Algorithmen für Begriffe wie „Medienkompetenz“ und „Medienbildung“? Dass gerade in diesem Bereich auch ein kreativer und produktiver Zugang hilfreich ist, betonte Nele Heise. Sie verwies hierzu exemplarisch auf die Projekte „Creative Gaming“ und „Jugendhackt“.

Das Panel zeigte auf, wie wichtig Transparenz, Datensicherheit und aber auch verantwortungsvolle Geschäftsmodelle der Medien- und Technologieanbieter sind. Dass die Kirchen als Impulsgeber hierbei eine wichtige Rolle spielen, wurde hier – aber auch bei den anderen Veranstaltungen des Kongresses – deutlich.

Es ist erst der Anfang – und noch haben wir die Möglichkeit, die Weichen zu stellen. Dass hierzu auch der medienethische Blick von zentraler Bedeutung ist, das betonte Reinhard Kardinal Marx in seinem Abschlusswort zum Kongress und nannte hierzu als positives Beispiel den Lehrstuhl für Medienethik in München.

Der Katholische Medienkongress 2017: Ein wichtiger Impulsgeber für mehr Sensibilität und Bewusstsein im Umgang mit den digitalen Medien.

„Daten alleine gewinnen keine Wahlen!“ Eine kritische Analyse der Berichterstattung zur Psychometrie im Wahlkampf

Die Debatte um psychometrische Analysen von Wählerinnen und Wählern im US-Wahlkampf erzeugt vor der Bundestagswahl 2017 auch in Deutschland immer wieder Wellen der Aufmerksamkeit. Sie ist durchsetzt von der subtilen Macht der Manipulation – allerdings nicht nur, wie meist angenommen, durch die dunklen, hyperintelligenten Datenmächte, sondern auch durch plausible, aber fragwürdige Narrative in der Berichterstattung. Eine kritische Analyse von Thema und Präsentation ist angesagt.

Seit Hannes Grassegger mit einem Artikel über die Datenfirma Cambridge Analytica das Thema der Psychometrie auf die Agenda gesetzt hat, wird die Frage der Datennutzung regelmäßig diskutiert – mal mit beruhigendem Tonfall („Da ist gar nichts Neues dabei!“) und mal mit alarmistischem Tonfall („Alles ist neu und die Welt geht den Bach runter!“).

Mindestens zwei Ebenen sind auseinander zu halten: 1. Was ist technisch möglich und wird in den verschiedenen Lebensbereichen eingesetzt? Und 2. Welche Rolle haben diese Technologien politisch in der US-Wahl gespielt? Die Grundthese dieser Reflektion ist, dass 1. technisch schon beeindruckend viel möglich ist, aber 2. die Rolle dieser Technologien in der US-Wahl 2016 sehr klein und nicht wahlentscheidend war.

Stanford-Professor Michael Kosinski, der in Grasseggers Artikel zur Methodik digitaler Psychometrie befragt wird, sorgte kürzlich für eine neue Welle der Empörung. Algorithmen, so Kosinski, könnten bald die politische Orientierung und den IQ vom Gesicht eines Wählers ablesen. Dass so etwas möglich ist, zeigte er mit einem hier beschriebenen Algorithmus, der in 81 Prozent der Fälle die sexuelle Orientierung von Männern richtig erkennen konnte. Sollten diese Technologien tatsächlich praktisch einsatzfähig werden, stellen sich eine ungeheure Menge an digitalethischen Fragen, die noch nicht im Ansatz hinreichend erforscht sind.

Für das Verständnis des politischen Einflusses der schon genutzten Technologien wie das Microtargeting auf Facebook hilft eine Einordnung in die langfristige Entwicklung weiter. Auch nach einer Reihe von kritischen Antworten auf Grasseggers Artikel in Deutschland und den USA hält sich leider in der einschlägigen Berichterstattung die Ansicht, es sei die Trump-Kampagne gewesen, die das Microtargeting von Facebook, das schon seit Jahren von Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Akteuren genutzt wird, zum ersten Mal in die Politik gebracht hätte. Das ist falsch.

Obama und Clinton haben beide seit vielen Jahren umfangreiche Datenteams im Einsatz. Viele der Ideen im digitalen Wahlkampf beruhen auf Lifetargeting-Strategien, die schon von Bill Clinton und George W. Bush verwendet wurden, sind seit über einem Jahrzehnt im Standard-Repertoire aller politischen Kampagnen in den USA. (Das einschlägige Buch dazu ist Applebee’s America: How Successful Political, Business, and Religious Leaders Connect with the New American Community. Es wurde 2007 von Clinton-Berater Doug Sosnik und Bush-Berater Matthew Dowd mit dem Journalisten Ron Fournier veröffentlicht.) Schon 2004 begannen die Demokraten das Internet als Raum zu verstehen, in dem die Kampagnen der Zukunft entschieden werden würden. Nicco Mele, Digitalstratege der Kampagne von Howard Dean, war einer der Pioniere in der Nutzung von digitaler Technologie und Social Media, und hat damit das politische Fundraising und die amerikanische Politik revolutioniert. Auch die Obama-Kampagnen griffen auf die Erfahrung aus Meles Arbeit für die Dean-Kampagne zurück.

Mele leitet mittlerweile das Shorenstein Center für Medien und Politik an der Harvard-Universität und hat ein Buch darüber geschrieben, wie das Internet den vermeintlichen Underdog David zum neuen Goliath macht. Passagen des Buches lesen sich wie eine Prophezeiung des Erfolgs von Donald Trump. Entsprechend war Mele einer der wenigen, die schon seit Herbst 2015 in einem Blog-Post erklärte, dass die – auch durch digitale Transformation begünstigten – langfristigen Entwicklungen in einem Trump-Gewinn 2016 kulminieren würden. Cambridge Analytica war dafür nicht nötig.

Ein kritischer Blick auf eine spekulationsreiche Debatte in 5 wichtigen Punkten:

1. Cambridge Analytica ist sehr gut in der Vermarktung von wenig Substanz und hat dabei nicht immer die Wahrheit gesagt.

Die New York Times schrieb im Juni 2017 über die Unstimmigkeiten in den Erzählungen der Vertreter von Cambridge Analytica. Diese gestehen jetzt ein, dass „die Firma nie Pschometrie in der Trump-Kampagne verwendet hat. Camebridge Analytica wird zwar durch die Werbematerialien der Firma und die Berichterstattung der Medien als Meister der dunklen Kampagnen-Künste präsentiert. Die Technologie bleibt aber unbelegt, so ehemalige Mitarbeiter und Republikaner, die die Arbeit der Firma kennen.“

2. Der Fall zeigt die Manipulierbarkeit der Massen nicht nur in Form von Datennutzung durch Kampagnen, sondern auch durch effektives Storytelling und das Ausnutzen des Belief Bias durch Cambridge Analytica.
Heidi Tworek analysierte im Mai 2017 im Blog des Nieman Labs an der Harvard-Universität: „Mit Cambridge Analytica sind wir gleich wieder bei der alten neuen Vision der Sozialpsychologie und der Massenpsychose, die von Gustave Le Bon in 1895 popularisiert wurde. Die harten Beweise für den Einfluss von Cambridge Analytica sind im besten Fall dubios. Das Unternehmen arbeitete zunächst mit Ted Cruz und wechselte erst zu Trump als Cruz zurückzog.“ Die Firma „hat sich erfolgreich in den Fokus hinein vermarktet. Aber wir bräuchten viel mehr Informationen, um zu wissen, ob ihre Techniken einen kausalen Einfluss hatten. Es gibt Hinweise darauf, dass das Trump-Team die Dienste von Cambridge Analytica in den letzten Wochen der Kampagne nicht einmal in Anspruch genommen hat.“

3. Mitarbeiter von Trumps Kampagne haben von Anfang an gegen das Cambridge-Narrativ angeschrieben, allerdings haben sie in Deutschland keine Resonanz damit gefunden.
Gerrit Lansing, Chief Digital Officer von Trump, hat Nix auf Twittersofort als Lügner gebrandmarkt. Gary Coby, Director of Digital Advertising für Trump, hat auf Twittererklärt, Cambridge sei nicht wahlentscheidend gewesen und Psychographen würden ebenfalls nicht von der Kampagne benutzt. Zwar sind Verlautbarungen von Mitarbeitern der Trump-Kampagne nicht ohne weiteres als gesicherte Information zu verstehen. In der Berichterstattung zum Thema müssten solche Stimmen aber zumindest vorkommen.

4. Was Nix als „psychometrisches Targeting“ beschreibt, ist vor allem Spekulation, die ohne ausreichende Datengrundlage mit einer guten Geschichte Erfolg erzielt hat, weil sie plausibel ist.
Dave Karpf hat mehrere gute Artikel geschrieben, in denen er die Marketing-Aktivitäten von Datenfirmen im Wahlkampf kritisch analysiert. Alle drei protestieren gegen das Reinfallen auf simple Marketing-Tricks und sind Pflichtlektüre für alle, die sich mit dem Thema auseinander setzen: Retrospective WishcastingWill The Real Psychometric Targeters Please Stand UpPreparing for the Campaign Tech Bullshit Season

5. Viele der Datenanalyse-Tools sind in den USA seit Jahrzehnten in Gebrauch und in den letzten Jahren nur graduell verbessert worden. Sie sind keine Wunderwaffe.
Wenn Kritik an Datennutzung in Wahlkämpfen formuliert wird, dann sollte sie unabhängig von Trump formuliert werden, denn die Datenanalyse-Tools wurden in den letzten zwei Jahrzehnten von nahezu allen Kandidaten in nahezu allen Kampagnen in Bund und Ländern in den USA benutzt. Hier spricht Reince Priebus (Vorsitzender des Nationalkommittees der Republikaner während der Trump-Kampagne) über die vielen Millionen Dollar, die sein Team in Daten investiert hat, und die Nutzung dieser Daten, um Orte zu identifizieren, die für Republikaner ungehobene Wählerpotenziale bereit hält. Exklusiv von den Republikanern wurde die Methode des Lifetargetings aber nicht eingesetzt.

Im Gegenteil: Hier spricht Obamas Kampagnenmanager Messina über die umfangreiche Nutzung von Daten in 2012. Auch schon Bill Clinton und George W. Bush haben Techniken des Lifetargetings benutzt, wie es in Applebee’s America von ihren Beratern anschaulich beschrieben wird. Anders als in Deutschland sind diese Verfahren in den USA also seit Jahren gang und gäbe. Einige Insider gehen so weit, Hillary Clintons Daten-Team als „most sophisticated data team in history“ und als Symbol des Versagens von Datenanalyse zu bezeichnen. Die Anzeichen mehren sich, dass Clinton bessere Daten zur Verfügung hatte, diese Daten aber nichts ohne eine „gut values connection“ sind, wie sie von Berater Doug Sosnik beschrieben wird.

Was also können wir aus der US-Wahl 2016 für das Verständnis der technologischen Entwicklung und ihren Einfluss auf Wahlkämpfe wirklich lernen?

Die Analyse von Hillary Clintons Datenoperation um Algorithmus Ada dreht die Logik der Berichterstattung zumindest potenziell auf den Kopf: Nicht Trumps Erfolg wäre ein Ausweis der Effektivität von digitaler Datennutzung, sondern Clintons Misserfolg wäre ein Ausweis für den Mangel an Effektivität von Datennutzung alleine. Allerdings gibt es auch Stimmen, die die Fähigkeiten von Ada anzweifeln.

Selbst wenn die Datenoperationen von Clinton und Trump gleichauf lagen: Technologie ist nicht alles. Der Wert der traditionell wichtigen Talente sollte daher in der Berichterstattung wieder mehr in den Vordergrund rücken. Politische Intuition, das ganz analoge Verstehen der Lebenswelt der Wähler, emotionale Intelligenz und eine robuste Vision für die Zukunft bleiben nach wie vor entscheidend. Daten alleine gewinnen keine Wahlen!

Der Fokus auf Technologie, vermischt mit der inhaltlichen Sympathie für Clinton, verstellt Deutschen zu oft den Blick dafür, dass Donald Trump in diesen Kategorien Hillary Clinton das Wasser reichen konnte. Während New York Times und Huffington Post eine Trump-Wahl für unmöglich erklärten, war Trump in der Lage ohne die Unterstützung dieser mächtigen Medien eine direkte Beziehung zu vielen Menschen in den vergesseneren Regionen der USA zu bauen, die nach nicht durch Technologie, sondern nur durch traditionelles politisches Talent wirklich zu erklären ist.

Das sollte uns zu denken geben.