Am 27. Juni 2023 hat acatech in Kooperation mit dem zem::dg eine Podiumsdiskussion zu den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk an der Hochschule für Philosophie München (HFPH) veranstaltet. Diskutiert wurde u. a. über die Neuorganisation redaktioneller Produktionsprozesse, um auch digitale Plattformen zu bespielen, über die fortlaufende Entwicklung neuer digitaler Formate, insbesondere mit Blick auf junge Zielgruppen, bis hin zu Strategien für die Verbreitung von Inhalten auf Social-Media-Plattformen von Drittanbietern.
Nach einer Begrüßung von Prof. Dr. Johannes Wallacher, Präsident der HFPH, diskutierten unsere Co-Leiterin Prof. Dr. Annika Sehl, Prof. Dr. Christoph Neuberger von der Freien Universität Berlin, Stefan Primbs Redakteur und Social Media Experte des Bayerischen Rundfunks und Bianca Taube von der Produktionsleitung der News-WG vom Bayerischen Rundfunk. Moderiert wurde die Veranstaltung von unserer Co-Leiterin Prof. Dr. Claudia Paganini.
Unterschiedliches Nutzungsverhalten
Als spannendes Praxis-Beispiel für die Aktivitäten des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf Social Media diente u. a. die News-WG des Bayerischen Rundfunks. Als eine Herausforderung wurde die verkürzte Aufmerksamkeitsspanne des Publikums auf digitalen Plattformen diskutiert. Stefan Primbs erklärt das wie folgt: „Online haben wir eine andere Nutzungshaltung: Da geht es oft eher um schnelle Information und weniger um Hintergründe und atmosphärische Erzählweisen.“ Umgekehrt biete gerade das Netz User:innen auch die Option, Themen, die sie interessieren auf eigene Faust zu vertiefen: „Wenn das Interesse stark genug ist, haben User:innen auch auf digitalen Plattformen die Möglichkeit Themen ausführlich zu vertiefen. Z. B. über Verlinkungen zu anderen Öffentlich-rechtlichen-Inhalten auf eigenen Plattformen wie BR24 oder der Mediathek.“
Der Fokus der News-WG liegt deshalb in erster Linie darauf, Hintergründe aufzuzeigen, wie Bianca Taube deutlich macht: „Wir sind kein News-Ticker. Unser Ansatz ist es, Verstehen zu schaffen und Hintergründe zu erklären.“ Wichtig dabei: Das Format widmet sich nicht nur Themen, die besonders viele Klicks verheißen – vielmehr geht es auch darum, den Blick zu weiten, wie die Produktionsleiterin des Instagram-Kanals betont: „Wir widmen uns in der News-WG auch Themen, die zwar ‚sperrig‘ aber trotzdem wichtig sind. Das ist teil unseres Bildungsauftrags.“
Unterschiedliche Zielgruppen
Eine Chance digitaler Plattformen ist es, dass sie es ermöglichen verschiedene Zielgruppen anzusprechen. Insbesondere auch jüngere Menschen können über Social Media erreicht werden. Dies erscheint umso wichtiger, da diese Zielgruppe in der Vergangenheit vom Öffentlich-rechtlichen Rundfunk eher vernachlässigt wurde, wie Prof. Dr. Christoph Neuberger darlegt. Aktuell befänden wir uns in einer Umbruchphase: „Die alten Medien bestehen neben den neuen Plattformen weiter. Beide ergänzen einander und haben ihre Berechtigung.“
Zugleich gelte es jedoch zu berücksichtigen, dass die zunehmende Anzahl unterschiedlichster Ausspielwege und Plattformen auch sehr ressourcenintensiv ist. Nicht nur weil analoge und digitale Medien gleichermaßen bedient werden müssen, sondern auch, weil die Anzahl digitaler Plattformen zunehme, wie Prof. Dr. Annika Sehl erklärt: „Die Diversifizierung der möglichen Ausspielplattformen stellt den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Blick auf Ressourcen vor Herausforderungen: Wir sehen daher eine Schwerpunktsetzung, z. B. nur ausgewählte Socia Media Plattformen zu bespielen oder andere zu automatisieren.“ Doch auch wenn die Pflege und nicht zuletzt auch die Moderation auf Social Media Plattformen zeit- und arbeitsintensiv ist, lohne sich ein entsprechendes Unterfangen: „Indem man den Dialog auf Social Media-Plattformen stärkt, können mehr Menschen gehört werden, deren Meinungen und Erfahrungen dann in den Journalismus zurückfließen können.“
Zunehmende Bedeutung des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Ein Konsens der Podiumsdiskussion ist, dass die gesellschaftliche Bedeutung des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks – trotz der teilweisen durchaus berechtigten Kritik – gerade unter digitalen Bedingungen weiter zunimmt. Prof. Dr. Annika Sehl veranschaulicht dies eindrucksvoll mit Verweis auf die Herausforderungen, die beispielsweise durch den Einsatz von KI im Medienbereich einhergehen: „Wir sehen aktuell, dass bereits erste Radiosender weitgehend von KI produziert und sogar moderiert werden sollen. Eine KI wertet aber nur Informationen aus vorhandenen Datenquellen aus. Im ÖRR sind die Ressourcen für eigene, auch umfassende Recherchen. Das kann einen gewichtigen Gegenpol setzen.“ Wie wichtig intensive Recherche und klassisches journalistisches Handwerk ist, verdeutlicht Prof. Dr. Christoph Neuberger mit Blick auf KI in der Textproduktion: „ChatGPT ist mit Blick auf Quellentransparenz und andere Qualitätskriterien im Journalismus für die Praxis untauglich.“
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