Wie verändern digitale Medien die politische Partizipation?

Interdisziplinäre Perspektiven aus Wirtschaft, Medien, Politik und Wissenschaft beim Fachdialog in Berlin

An der Humboldt-Universität zu Berlin trafen sich am 15. und 16. Juni 2018 Politikwissenschaftler*Innen und Ethiker*Innen aus der Wissenschaft mit Vertreter*Innen aus der Praxis in Politik, Kirche und Wirtschaft, um die Frage politische Partizipation in digitalen Öffentlichkeiten zu diskutieren. Veranstaltet wurde das Fachgespräch vom Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg) gemeinsam mit dem Berlin Institute for Public Theology. Zentrums-Co-Direktor Prof. Dr. Alexander Filipovic diskutierte mit der Bundestagsabgeordneten Dr. Petra Sitte (Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda) und Stephan Dörner (Chefredakteur des Digitalmagazins t3n.de) über die digitale Transformation des Wahlkampfs in Deutschland. Unser Mitarbeiter Jonas Bedford-Strohm moderierte zudem ein Gespräch mit Medienakteuren aus Tech-Wirtschaft, Radio und dem freien Agenturbereich über die digitalen Transformationsprozessen im Medienkontext.

MdB Petra Sitte berichtete in einem Impuls zunächst über die neuen Partizipationsmöglichkeiten, die die sozialen Medien einer Parteiarbeit bieten. DIE LINKE nutzt Plattformen wie Facebook, Youtube und Instagram intensiv. Frau Dr. Sitte betonte dabei, dass „negative campaigning“ im Digitalen für Sie nicht in Frage kommt. Aus dem Publikum kam die Erwiderung, dass einige zentralen Akteure aus Sittes Partei durchaus zu herabsetzenden Negativstrategien in den sozialen Medien greifen. MdB Sitte gestand ein, dass trotz aller Versuche, eine gemeinsame Strategie zu finden, die nicht die populistischen Tendenzen der interaktionsbasierten Social-Media-Algorithmen ausnutzt, eine vielfältige Partei immer auch vielfältige Kommunikationsansätze haben wird. Sie wies auch darauf hin, dass sie persönlich merkt, wie sie an manche Wählergruppen digital nicht herankommt. Besonders die sich im Populismus entladende Energie habe sie ganz analog am Wählerstand in der Fußgängerzone in Halle immer wieder schon zu spüren bekommen. Sie fahre deswegen ganz bewusst in manche Wahlkreisteile, um dort physisch präsent zu sein und nicht die leibliche Aufmerksamkeit durch reine Digitalarbeit zu ersetzen. Ein sinnvoller Wahlkampf, der echte Menschen erreicht, habe deswegen immer digitale und analoge Komponenten, die sinnvoll aufeinander zu beziehen seien.

Stephan Dörner brachte die Frage der erfolgreichen Präsenz populistischer Gruppen in sozialen Medien ins Spiel – besonders die AfD ist auf Facebook im Vergleich zu den Wahlergebnissen überdurchschnittlich erfolgreich. Liege der Erfolg der rechtspopulistischen Apokalypsen nicht auch daran, dass die liberal-demokratischen Kräfte keine attraktiven Zukunftsvisionen mehr kommunizieren könnten?

Alexander Filipovic wies darauf hin, dass nicht nur Gruppen wie die AfD den gegenwärtigen Trend digital zu nutzen wüssten, sondern auch etablierte Parteifunktionäre wie Jens Spahn mit seiner anti-elitären Rhetorik in den Werkzeugkasten der Populisten greife. So lassen sich Rückkopplungseffekte von Praktiken in den sozialen Medien auf andere Medienformen und die Veränderung des Diskurs-Klimas beobachten. Das Frustrierende daran sei aus medienethischer Perspektive nicht nur, dass digitale Plattformen wie Facebook durch ihre Algorithmen-Gestaltung populistische Tendenzen verstärken könnten und politische Akteure diese Tendenzen nutzen würden, sondern auch, dass diese manipulativen Kulturtechniken tatsächlich funktionierten. Insofern sei neben der Produzenten- und Plattformperspektive auch eine Rezipienten- und Nutzerethik zu entwickeln.

Trotz aller Probleme eines idealistisch-rationalistischen Vernunftmodells, plädierte Prof. Filipovic dafür, an dem orientierenden Ideal eines faktenorientierten Qualitätsjournalismus beizubehalten, auch wenn es in seiner Unerreichbarkeit stets nur ein regulatives Ideal und keine perfekte Wirklichkeit sein könne. Trotzdem gebe es so viel guten Qualitätsjournalismus wie noch nie zuvor – selbst wenn er aufgrund des Inhalte-Zuwachses womöglich im Durchschnitt weniger sichtbar sei. Insofern sei weder eine apokalyptisch sprechende, kulturpessimistische Perspektive, noch ein naiv-idealistisch, appellatives Lamentieren ausreichend. Eine handlungsorientierte Perspektive, die in der praktischen Wirklichkeit normative Potenziale identifiziert und ethische Orientierungen für deren Stärkung entwickelt, sei medienethisch die fruchtbarste.

Das Abendpanel am Freitag gab Medienschaffenden die Gelegenheit, ihre Erfahrungen aus der Praxis einzubringen und anhand konkreter Fragen aus dem Alltag die gegenwärtigen Transformationsprozesse im digitalen Bereich zu thematisieren. Zunächst gab Malte Kosub, Gründer der Entwicklungsagentur Future of Voice, einen Einblick in seine tägliche Arbeit im Innovationsfeld der Sprachassistenten. Er zeigte auf, wie sich der Anpassungsdruck derzeit umdreht: Nicht mehr Menschen müssen lernen, in der Sprache der Computer zu kommunizieren, sondern Computer sollen intuitivere Kommunikationskompetenz antrainiert bekommen. In dieser Perspektive stellt Künstliche Intelligenz nicht einen Verstärker für technisierte Kommunikation dar, sondern eine Humanisierung der Nutzeroberflächen technischer Systeme. Neben den umfangreichen Chancen für interaktive mediale Kommunikation durch Sprachassistenten, wies Kosub allerdings auch darauf hin, dass durch die Metasysteme Alexa, Google Assistant und Co. natürlich neue Gatekeeper zwischen Nutzer und Medienprodukt träten.

 

Die Fragen also, wie zum Beispiel Rankings erstellt werden und welche Antworten und Produkte vom Assistenten bevorzugt werden, stelle eine schwer lösbare Aufgabe für die Plattformanbieter dar. Da diese aber viele Drittanbieter auf ihre Plattform locken möchten, hätten sie ein ureigenes Interesse daran, so neutral und transparent wie möglich zu arbeiten.

Lisa Zauner, Digitalchefin des Radiosenders 1LIVE vom WDR, sprach darüber, wie ein öffentlich-rechtliches Digitalprodukt zum Erfolg gebracht werden kann. Entscheidend ist für sie die Kultur, die das Team dafür ausbildet. Als Digitaleinheit einer Radiowelle in einer großen Landesrundfunkanstalt wie dem WDR fänden sich immer wieder Nischen, in denen kreatives Arbeiten möglich wird, obwohl das Umfeld in einem öffentlich-rechtlichen Ökosystem oft sehr komplex ist. Für Zauner ist wichtig, wie der Kontakt zu den Nutzerinnen und Nutzern gestaltet ist, denn Transparenz und Vertrauen könne ein besonderes Merkmal der öffentlich-rechtlichen Interpretation der Medienarbeit sein. Durch die vielfältigen Möglichkeiten digitaler Technologie könne Radio nun zu einem multimedialen Unterfangen werden und eine interaktivere Gestaltung mit verschiedenen Plattformen und Format umgesetzt werden. Insofern biete sich die Chance auf eine menschenzentrierte Entwicklung, unter anderem dadurch, dass sich mit digitalen Analyse-Werkzeugen ein genauer Blick auf die Bedürfnisse der Hörerinnen und Hörer werfen lässt. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch jenseits einer plumpen Quotenorientierung auf die breite Unterstützung der Bevölkerung angewiesen ist. Wenn sich die Mediennutzung der Beitragszahler verändert, verändert sich entsprechend die Erwartungserhaltung. Und insofern kann auch ein werbeunabhängig finanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk nicht an der Medienpraxis der Menschen vorbei arbeiten, wenn er nicht schleichend an Legitimität und „public value“ verlieren möchte.

Florian Stickel, Chefredakteur von Microsoft News und Portalleiter für MSN in Deutschland, brachte die Perspektive eines Journalisten in einem Technologie-Unternehmen ein. Dabei wurde deutlich, dass auch in einem privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen die kommunikative Arbeit zwischen den verschiedenen Berufsgruppen und Division eine Herausforderung und permanente Aufgabe ist. Relevant wird diese Arbeit nicht nur bei der Einschätzung verschiedenener Monetarisierungsmodelle, sondern auch in dem Bewusstsein der presserechtlichen bzw. journalistischen Einordnung verschiedener Ansätze in der Content-Distribution. Auch wenn Stickel einräumte, dass eine totale Objektivität ein nie zu erreichendes Ideal ist, betonte er das Bemühen in der Partnerauswahl für die Medieninhalte auf MSN ein breites Spektrum an Interessen und Perspektiven abzudecken. Als neuartige Herausforderung präsentierte Stickel verschiedene Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz. Dabei stellte Stickel klar, dass es sich dabei nach wie vor um Mustererkennung und Assistenzsysteme für die menschlichen Redakteure handelt. Künstlich intelligente Analysesysteme helfen den Redakteuren bei MSN heute schon dabei, Themen zu erkennen, Trends zu analysieren und Inhalte für die Nutzerinteraktion zu optimieren. Aus dieser Perspektive wurde deutlich, dass die Monetarisierung von journalistischen Inhalten jenseits des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von zentraler Bedeutung ist und die inhaltliche Gestaltung prägt. Allerdings wird ebenfalls deutlich, dass ein Unternehmen wie Microsoft selbst an verantwortlichen Praktiken interessiert ist und den Dialog im Bereich der Algorithmenethik begrüßt und selbst fordert. Denn auch für ein privatwirtschaftlich organisiertes Medienunternehmen bleibt das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer – besonders dann, wenn die eigene Plattform die Hauptnachrichtenquelle für sie ist – von entscheidender Bedeutung für den mittel- bis langfristigen wirtschaftlichen Erfolg.

Leitungsteam: Jonas Bedford-Strohm M.A. (Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft in München) Dr. Florian Höhne (Berlin Institute for Public Theology) Dipl.-Theol. Julian Zeyher-Quattlender (Universität Tübingen und Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg)

Den Veranstaltungsflyer können Sie hier downloaden.

Arbeiten nach Zahlen

Alexander Filipović & Jonas Bedford-Strohm äußern sich zum Thema "Algorithmen" in einem Projekt der Katholischen Journalistenschule

Startseite des Projekts "Arbeiten nach Zahlen"

Sie bestimmen unseren (digitalen) Alltag – und werden dabei kaum wahrgenommen: Algorithmen sind der unsichtbare Chef, der uns per Navigationssystem auf dem kürzesten Weg zur Arbeit lotst, der uns eine gefällige Musikauswahl zusammenstellt und bestimmt, ob die Personaler unsere Bewerbung überhaupt erst zu Gesicht bekommen. Eine großartige Arbeitserleichterung oder computergesteuerte Fremdbestimmung?

Der Volontärsjahrgang 2016/2 der katholischen Journalistenschule ifp in München hat sich eine Woche lang mit dem Thema „Algorithmen“ beschäftigt. Für die Frage danach, wie das Thema aus medienethischer Perspektive zu bewerten ist, haben sich die Autorinnen und Autoren an das Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg) gewandt.

Alexander Filipović im Beitrag: Der Code, dein bedenkenloser Chef

Im Beitrag „Der Code, dein bedenkenloser Chef“ von Felicia Schuld und Sebastian Kirschner betont der Leiter des zem::dg, dass – wenn Maschinen de Menschen bewerten – Programmierer und Unternehmer sich bereits frühzeitig mit den Fragen von Ethik und Moral beschäftigen müssen. Denn: Nur so können sie beim Programmieren ein ethisches Bewusstsein entwickeln.

Den vollständigen Beitrag können Sie unter diesem Link nachlesen:

Jonas Bedford-Strohm im Beitrag: Algorithmus statt Journalismus

Um Roboter-Journalismus und die Frage, wie Algorithmen Journalismus verändern, geht es im Beitrag „Algorithmus statt Journalismus“ von Roland Müller und Christoph Koitka. Jonas Bedford-Strohm, assoziierter Mitarbeiter des zem::dg, schildert darin, wie Innovation im Journalismus funktioniert. Sein Statement hierzu: „Innovation ist zehn Prozent Kreativleistung und 90 Prozent Drecksarbeit!“

Den vollständigen Beitrag können Sie unter diesem Link nachlesen:

Zwischen Fitnesswahn und Fairnesskult

Zum kontroversen Verhältnis von Sport und Religion

 

Heiliger Rasen – Fußballgötter – pilgernde Fans:

Ob in den  Medien oder am Stammtisch, das Sprechen über Sport ist von religiösen Metaphern durchsetzt. Choreografien, das gemeinsame Singen der immer gleichen Lieder und vieles mehr verleihen Sportevents einen nahezu liturgischen Charakter.

Hat der Sport für viele Menschen etwa tatsächlich die sinnstiftende Funktion der Religion übernommen? Wie positionieren sich religiöse Sportlerinnen und Sportler dazu? Diesen und weiteren Fragen widmet sich der Diskussionsabend „Zwischen Fitnesswahn und Fairnesskult. Zum kontroversen Verhältnis von Sport und Religion“ am 17. April 2018. 

Termin: Dienstag, 17. April 18:30 – 20:00
OrtHochschule für Philosophie München, Kaulbachstr. 31, 80539 München

Herzliche Einladung! Eine Anmeldung ist nicht nötig.

Diese Veranstaltung auf Facebook anschauen.

Gäste:

  • Prof. Dr. Gunter Gebauer (Institut für Philosophie an der Freien Universität Berlin)
  • Prof. Dr. Alexander Filipovic (Lehrstuhl für Medienethik, Hochschule für Philosophie München) – Moderation
  • Dr. Juliane Fischer (Pfarrerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern)

Die Diskussionsreihe „Ethik des Sports: Reflexionen zu Sinn, Kommerz und Macht“ wird veranstaltet vom Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg) in Kooperation mit dem Institut für Ethik und Sozialphilosophie (IES) der Hochschule für Philosophie München.

Weitere Abende in der Reihe „Sport und Ethik“:

  • 15. Mai 2018: Sportjournalismus als Hofberichterstattung? Zum engen Verhältnis von Sport und Medien
  • 12. Juni 2018: Stadion und Favela – Brot und Spiele? Zum spannungsreichen Verhältnis von Sport und Politik

„Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst“

Rückblick auf die Abendveranstaltung "Frieden und Journalismus" mit Dr. Nicola Albrecht und Henriette Löwisch

„Wahrheit stirbt im Krieg leider tatsächlich zuerst. Alle Parteien wollen ihre Seite des Konflikts an die Medien verkaufen“, mit diesen Worten beschreibt die Nahost-Korrespondentin Dr. Nicola Albrecht, wie schwer es fällt, in Zeiten des Krieges als Journalistin hochwertigen Journalismus zu machen. Wie kann guter Journalismus dennoch gelingen? Und wie kann Journalismus zum Frieden beitragen – und soll er das überhaupt? Dieser Frage ging die Veranstaltung „Journalismus und Frieden – Aufgaben der Medien in Krieg und Krisen“ auf den Grund. Zusammen mit Dr. Nicola Albrecht diskutierten die Leiterin der Deutschen Journalistenschule Henriette Löwisch und Prof. Dr. Alexander Filipović die Potentiale, Chancen und Herausforderungen, die mit einem friedensorientierten Journalismus einhergehen.

Die Veranstaltung fand am 12. Dezember 2017 in den Räumen der Bibliothek der Hochschule für Philosophie in München in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Praktische Phi­losophie mit dem Schwerpunkt Völkerverständigung statt.

Nachfolgende Bildergalerie soll die Impressionen des Abends vermitteln und bereits die Neugier auf unsere kommenden Veranstaltungen im Kontext der Reihe „Medienethik in der Bibliothek“ wecken.

Sie möchten mehr wissen? Nach Weihnachten werden wir in unregelmäßigem Turnus Videoimpressionen zum Abend auf unserer Facebook-Seite veröffentlichen. Schauen Sie vorbei – wir freuen uns auf Sie!