Sommerinterview auf der Vorderbühne

ARD: Bericht aus Berlin mit AfD-Chef Jörg Meuthen

ARD-Sommerinterview mit Jörg Meuthen, AfD-Bundessprecher. Video: https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-428545.html: 

„Das ging aber schnell“ – kommentierte AfD-Chef Meuthen die Abmoderation von Tina Hassel nach knapp 20 Minuten Sommerinterview. So, als hätte er das Gespräch gerne noch fortgesetzt. Kein Wort von Lügenpresse oder Staatsfunk, keine Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen, keine Rüpeleien.

Dabei war Tina Hassel durchaus nicht zahm mit ihm umgegangen. Angefangen mit einer Fangfrage („Sind Sie gerne nach Berlin gekommen?“), um dann, während Meuthen sich noch im Konversationsmodus wähnt, nachzuschieben: „Kritiker aus Ihrer Partei finden, dass Sie in Berlin zu wenig wahrnehmbar sind.“ „Stimmt nicht,“ antwortet Meuthen, „das war nur die BILD-Zeitung.“

In einem kurzen Filmeinspieler wird dann formuliert, dass Meuthens Reden wie Proseminare klängen und er in Berlin neben den anderen AfD-Größen eher eine stumme Rolle hätte. Meuthen, Professor für Wirtschaftswissenschaft, sagt dazu nichts.

Nächstes Thema: Italiens neue Mitte-Rechtsregierung. Habe er schon Matteo Salvini, dem neuen Innenminister aus der Lega Nord zu seiner Entscheidung gratuliert, die italienischen Häfen für die EU-Marinemission Sophia dichtzumachen und damit die Flüchtlinge ihrem Schicksal zu überlassen? Meuthen hat gratuliert, wenn auch nicht persönlich. Ob er die er eine Festung Europa wolle, fragt Hassel weiter. Er wolle, dass die Außengrenzen besser geschützt würden, damit die illegale Massenimmigration aufhört. Australien sei ein gutes Beispiel, wie das gehe. Seit das Land seine Grenzen dichtgemacht habe, ertränke dort niemand mehr. Anders als bei uns. Deshalb sei Seenotrettung zynisch, weil sie falsche Anreize schaffe. Diesmal keine Reaktion von Tina Hassel.

Dann bringt die Moderatorin, deren Stimmlage nie die leiseste Emotion verrät, den nächsten Nadelstich an: Italien wolle die Gründung einer europäischen Populisten-Allianz. Was sagt Meuthen dazu? Zunächst weist er den Begriff Populisten-Allianz zurück, – sehr, sehr höflich. Aber eine Zusammenarbeit befürworte er. Hassel setzt nach: „Glauben Sie an eine Internationale der Nationalisten?“ Meuthen glaubt an eine Kooperation auf Augenhöhe, – was immer das heißt.

Prof. Meuthen, offenes blaues Hemd, eloquent, sachkundig („ich als Ökonom“), maßvoll, unaufgeregt, höflich, auch wenn er über seine innerparteilichen Konkurrenten spricht. Alle Eigenschaften, die man von einem AfD-Chef eher nicht erwartet, spielt Meuthen reichlich aus. Seine Stimme setzt er fast so gleichmütig ein, wie die Moderatorin. Kein Protest, wenn sie ihn unterbricht, kaum ein Zurückweisen provokanter Formulierungen, die Hassel reichlich zu bieten hat. Sogar als sie fragt, warum es ihm nicht gelinge, den rechten Flügel seiner Partei zu bändigen, entfährt ihm nur ein kurzes, tadelndes „Na“, weil das ja insinuieren würde, dass die AfD a) einen rechten Flügel habe und b) er diesen nicht in den Griff bekomme. Beides sei natürlich falsch.

„Und wo bleiben bei der AfD Aussagen zu Sachthemen wie Rente oder Pflegenotstand?“, fragt Hassel. Meuthen erklärt wortreich, dass man daran arbeite, aber man könne nicht in kurzer Zeit alles nachholen, was die Altparteien jahrelang verschleppt hätten. Das brauche Zeit.

Letzte Frage: Was ist mit dem Verein, der die AfD seit Jahren mit millionenschwerer Wahlkampfhilfe unterstützt und von dem sich die Partei jetzt trenne? Meuthen sagt, man trenne sich nicht, denn man sei nie zusammen gewesen. Also, fragt Hassel, haben die sich an die AfD rangewanzt? Ich jedenfalls, antwortet Meuthen höflich, hatte zu keiner Zeit Kontakt zu ihnen. Kein Widerspruch, keine Aufklärung. Ende der Sendung.

Hinter den Gesprächspartner, die auf roten Sesseln sitzen, fahren die ganze Zeit Touristenboote vorbei. Meuthen wirkt nach etwas anfänglicher Anspannung gelöst, wie es sich für ein Sommerinterview gehört. Tina Hassel hat souverän gefragt und immer wieder nachgehakt. Aber es ist ihr nicht gelungen, ihr Gegenüber von der Vorderbühne wegzulocken, um die Inszenierung zu durchbrechen.

 

Über unseren Autor:

Hans Oechsner war politischer Redakteur beim Bayerischen Fernsehen. 2012 begann er ein Zweitstudium an der Hochschule für Philosophie in München, wo er inzwischen an einer Promotion über medienethische Probleme von politischen Fernsehinterviews arbeitet.

Cyber-Krieg und Populismus – Korrelative Herausforderungen für Deutschland und Europa

Zwei Sorgen wurden seit der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl immer wieder mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 artikuliert: mögliche Hackerangriffe im Vorfeld des Urnenganges und der Parlamentseinzung einer Partei mit starken populistischen Strömungen. Nun liegt die Wahl hinter uns: Die AfD ist mit einem zweistelligen Ergebnis im Bundestag vertreten und die Cyber-Bedrohungen – mithin die Gefahr militärischer Angriffe im Cyber-Raum – bestehen fort. Daher lohnt sich ein Blick auf die korrelativen Beziehungen zwischen beiden Herausforderungen: Cyber-Krieg und Populismus.

Cyber-Krieg als politische Herausforderung

Dass eine sicherheits- bzw. verteidigungspolitische Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen notwendig ist, steht außer Frage. Jedoch besteht gegenwärtig die deutliche Tendenz zu einer einseitigen digitalen Aufrüstung. Dies birgt drei Kernherausforderungen:

Erstens gerät das Internet als Raum ziviler Nutzung in Gefahr. Daher müssen bei allen Entscheidungen berechtigte Sicherheitsinteressen gegen Freiheitsrechte der Nutzer abgewogen werden. Zweitens sind Angreifer im Netz nur schwer identifizierbar, sodass „Gegenschläge“ unter besonderem Vorbehalt stehen. Dies stellt vor allem die Mandatierung und Kontrolle von Einsätzen vor schwierige Fragen. Drittens unterliegen „Kampfhandlungen“ im Cyber-Raum ebenso wie herkömmliche gewaltsame Auseinandersetzungen den Mechanismen von Wettrüsten und Konfliktverschärfung.

Vor dem Hintergrund derartiger Herausforderungen hat Annegret Bendiek in ihrer Studie zur „Sorgfaltsverantwortung im Cyberraum“ drei Leitgedanken für eine angemessene Cyber-Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt: „Europäische Zusammenarbeit: Einbindung nationaler Politiken in den europäischen Rahmen, Inklusivität: breite, offen zugängliche Repräsentation unterschiedlicher Interessengruppen in der Politikformulierung, Zivilität: Vorrang der zivilen gegenüber der militärischen Komponente“ .

Cyber-Bedrohungen und Populismus

Konzepte, die sich diesen Ideen verpflichtet sehen, haben es unter den Bedingungen einer öffentlichen Debatte, die zunehmend von populistischen Positionen beeinflusst wird, deutlich schwerer, Rückhalt zu gewinnen. Hierzu drei wesentliche Gesichtspunkte:

Erstens besteht eine unmittelbare Überschneidung von Populismus und Cyber-Bedrohungen, wo die digitale Infrastruktur in problematischer Weise zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung genutzt wird. Bei Cyber-Angriffen auf kritische Infrastruktur und der digitalen Verbreitung von Propaganda haben wir es mit Phänomenen zu tun, denen zwar auf unterschiedlichen Wegen zu begegnen ist, die jedoch beide auf die Erosion gesellschaftlicher und politischer Strukturen abzielen können.

Zweitens dienen tatsächliche und empfundene Bedrohungen zur Untermauerung populistischer Positionen. Es braucht nicht zu verwundern, wenn Cyber-Angriffe durch Populisten instrumentalisiert werden, wo es darum geht, das Grundvertrauen der Bevölkerung in die Politik an sich und die deutsche bzw. europäische im Besonderen zu untergraben.

Drittens steht zu befürchten, dass eine Verschärfung der öffentlichen Debatte über Sicherheitsfragen ihrerseits digitales Wettrüsten und Versicherheitlichung des Cyberraums befördert. Denn, die Muskeln spielen zu lassen, ist eine vielversprechende Möglichkeit, dem verängstigten Volk Sicherheit zu suggerieren. Für Annegret Bendiek machen sich bereits in den aktuellen Strategien der EU Versicherheitlichung und Militarisierung bemerkbar. Infolgedessen entwickle sich „relativ eigenständig ein Markt, nämlich ‚security as a service’, dessen Kehrseite ‚crime as a service’ ist“ .

Notwendige Reflexionen

Wie kann dieser doppelten Herausforderung innerhalb des öffentlichen Diskurses begegnet werden? Was Not tut, ist die nachhaltige Dekonstruktion des gängigen öffentlichen Redens vom Cyber-Krieg.

Hierzu haben Ben Wagner und Kilian Vieth mit ihrem Aufsatz „Was macht Cyber? Epistemologie und Funktionslogik von Cyber“ bereits einen wichtigen Anstoß gegeben. Sie stellen fest: „Die konstruierte Konkurrenz“ zwischen Cyberraum und realer Welt „hat es nie gegeben, die Unterscheidung von virtuell und real ist eher eine gesellschaftliche Konvention, keine aus Strukturen ableitbare Gegebenheit“. Hieraus resultiert für sie die politische Mobilisierungfunktion des Cyber-Begriffs, „indem er etwas Neues und bisher noch nicht Dagewesenes suggeriert, wofür entsprechend auch neue Ressourcen mobilisiert werden müssen“ . Eine ihrer Schlussfolgerungen lautet: „Anstatt ständig in luftigen Höhen über ein sehr praktisches Phänomen zu sprechen, wäre es daher viel sinnvoller über den praktischen Umgang mit Cyber zu sprechen, also was Menschen tatsächlich machen wenn sie Cyber sagen.“

Übertragen auf das Phänomen Cyber-Krieg würde dies bedeuten, ihn nicht zu einem von konventionellen Konflikten losgelösten Phänomen bzw. einer fremdartigen Bedrohung zu stilisieren. Vielmehr sollte in der öffentlichen Debatte geklärt werden:

  • Wo bestehen strukturelle Parallelen zwischen konventionellen und Cyber-Bedrohungen, wo hingegen tatsächlich neue Herausforderungen?
  • Welche bereits bestehenden Mechanismen der Konfliktprävention und -behebung können übertragen, welche weiterentwickelt, welche neu geschaffen werden?

Eine derartige Rückkehr der Besonnenheit in den Diskurs könnte dann letztlich auch populistischen Angstszenarien den Wind aus den Segeln nehmen.

Tilman Asmus Fischer studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Geschichte, Kulturwissenschaft und evangelische Theologie. Als freier Autor schreibt er über politische, zeitgeschichtliche und theologische Themen.

Grundpositionen und Kommunikationsstrategie der Partei „Alternative für Deutschland“ in der Beurteilung

Studie des ICS Münster und des zem::dg München/Eichstätt stellt tiefgreifende Differenzen der AfD zu christlichen Grundoptionen heraus

Wie verhalten sich grundlegende Positionen, politische Zielsetzungen und die Kommunikationsstrategien der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) zu den Positionen der katholischen Soziallehre? Dieser Fragestellung ging ein Team des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften in Münster (ICS) zusammen mit unserem Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg) nach. Neben dem Grundsatz-, sowie dem Bundestagswahlprogramm der Partei wurden dabei auch die Kommunikationsstrategie der Partei anhand einer Analyse ausgewählter Reden von ParteifunktonärInnen sowie ihrer Social Media-Strategie untersucht.

Das AutorInnen-Team – bestehend aus Marianne Heimbach-Steins, Alexander Filipović, Josef M. Becker, Maren Behrensen und Theresa Wasserer – zeigt, dass in vielen Bereichen maßgebliche Differenzen zwischen den gegenübergestellten Positionen bestehen.

Programm und Kommunikationsstrategie der AfD als Thema der Medienethik

Als medienethische Herausforderung kann dabei primär der Umgang der AfD mit den so genannten Social Media betrachtet werden: So nutzt die AfD soziale Netzwerke (vor allem Facebook) sehr intensiv und erzielt deutlich mehr Resonanz auf diesen Plattformen als andere Parteien. Im Gegensatz zu anderen Parteien lassen sich hierbei für die AfD Echokammereffekte nachweisen. AfD-Sympathisanten auf Facebook bilden eine homogene, nur innerhalb „rechter“ Gruppierungen vernetzte Gemeinschaft. Problematisch hieran ist, dass Echokammern und Filterblasen gesellschaftlich gesehen eine antidiskursive Wirkung attestiert werden kann.

Der Umgang der Medien und der Journalisten mit der AfD ist schwierig – die Problematik wurde jüngst von Bernd Gäbler beschrieben, der (Mit-)Autor einer in Kürze veröffentlichten Studie der Otto-Brenner-Stiftung ist. Wie in unserer ICS/zem::dg-Expertise geht es offenbar in der Studie ebenfalls um die Bestimmung eines kritischen Begriffs des Populismus und dessen kommunikationsstrategische Umsetzung (siehe dazu den Beitrag beim Deutschlandfunk).

Ziel der Untersuchung

Ausgangspunkt für die Vergleichsstudie waren eine Bitte und Anregung der Bevollmächtigten der katholischen Bischöfe gegenüber den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Das Ziel der Untersuchung ist es, Orientierungen für eine christlich fundierte Urteilsbildung und Hilfestellungen für den Umgang mit inhaltlichen und kommunikativen Herausforderungen anzubieten, denen Christinnen und Christen in der Auseinandersetzung mit den Positionen und dem Politikstil der AfD begegnen.

Vom Team des zem::dg haben Alexander Filipović (Co-Leiter des zem::dg, Lehrstuhl für Medienethik München) und Theresa Wasserer (Lehrstuhl für Medienethik München) mitgearbeitet. Die Ergebnisse der Untersuchung werden in der Reihe der Sozialethischen Arbeitspapiere des ICS (ICS-AP Nr. 8) veröffentlicht.

Die vollständige Studie, eine Zusammenfassung sowie weitere Informationen finden Sie auf der Internetseite des ICS.