Ein technikphilosophischer Blick auf „Iron Man“ und die „Avengers“
Am 24. April 2019 erscheint „Avengers 4: Endgame“ in den deutschen Kinos. Die Superhelden des Marvel-Universums haben sich zusammengeschlossen und kämpfen gemeinsam gegen die Feinde. Besonders spannend ist das Schicksal von Tony Stark (alias Iron Man), über das schon viel gemunkelt wird. Es lohnt sich, auch einmal einen technikphilosophischen Blick auf die bisherigen „Iron Man“- und „Avengers“-Filme zu werfen – ganz ohne Spoiler.
„Ich bin Iron Man.“ Mit diesem Satz bekennt sich Tony Stark, genialer Technik-Erfinder und Leiter von „Stark Industries“, zu seiner neuen High-Tech-Rüstung: ein fliegendes Roboter-Exoskelett, das ihm übernatürliche Fähigkeiten verleiht. Dieses Pressestatement wird zum Auftakt der Iron Man-Identität. Doch was hat es mit Iron Man eigentlich auf sich? Was verraten die Action- und Science-Fiction-Filmreihen „Iron Man“ (2008–2013) und „The Avengers“ (2012–2018) über uns selbst?
Wer oder was ist Iron Man?
Keine so leichte Frage. Immer wieder beharrt Stark darauf, dass Iron Man kein Roboteranzug, sondern er selbst Iron Man sei. Wenn der Junge Harley in Tennessee voller Begeisterung auf die Rüstung zeigt, entgegnet Stark:
Harley: Das – das ist – ist das Iron Man?
Stark: Genau genommen bin ich das.
(Iron Man 3)
Vom Senat wird Stark aufgefordert, die „Iron Man-Waffe“ an die Bevölkerung der USA auszuhändigen. Stark beschreibt sie als „High-Tech-Prothese“ und wehrt sich:
Stark: Ich bin Iron Man. Der Anzug und ich sind eins. Den Anzug auszuhändigen, hieße, mich selbst auszuhändigen, was gleichbedeutend wäre mit Sklaverei oder Prostitution – je nachdem in welchem Staat man ist.
(Iron Man 2)
Stark sieht die Rüstung als Teil seiner selbst, als Teil seines Körpers. Durch die Verbindung von Stark und Rüstung entsteht etwas Neues, erst so entsteht Iron Man. Hier wird deutlich, wie das Implementieren von Technologien in den menschlichen Körper unser Körper- und Selbstverständnis verändert. Auch am Filmende von „Iron Man 3“ heißt es:
Stark: Wenn ich ein Fazit ziehen soll, das zusammenfassen muss oder so, dann würde ich sagen, mein Anzug war nie eine Ablenkung oder ein Hobby. Er war ein Kokon. Und jetzt bin ich ein anderer Mensch. Selbst wenn man mir mein Haus und all mein Spielzeug wegnimmt, eins kann man mir nie mehr nehmen: Ich bin Iron Man.
(Iron Man 3)
Und dennoch sind Stark und Iron Man nicht identisch. Stark bleibt auch ohne die Iron Man-Rüstung eine eigenständige Persönlichkeit.
Captain America: Ein großer Mann in einer Rüstung. Lassen sie sie weg, was sind Sie dann?
Stark: Genie, Milliardär, Playboy, Philanthrop…
(Avengers 1)
Außerdem wird er in den Filmen durchgängig als Stark angesprochen. Ohne die Rüstung gibt es noch Tony Stark, aber ohne Tony Stark gibt es – für Stark zumindest – keinen Iron Man.
Die zweitweise Verschmelzung von Stark und Roboter ruft oft die Frage hervor, ob Stark ein Cyborg ist. „Cyborg“ als Akronym von „cybernetic“ und „organism“ bezeichnet die Verschmelzung von organischem und technischem Material, dessen Ausgangsgrundlage der Mensch ist (im Unterschied zum Androiden). Doch wo genau die Grenze zwischen Mensch und Cyborg zu ziehen ist oder welche technologischen Veränderungen Menschen zu Cyborgs machen, ist umstritten. Vielleicht würde sich Stark selbst als Cyborg bezeichnen. Da er die Rüstung aber problemlos ablegen kann und nicht dauerhaft mit ihr verschmilzt, ist die Bezeichnung „Cyborg“ meines Erachtens hier wenig zutreffend. Andere technikphilosophische Positionen dagegen gehen davon aus, dass wir Menschen bereits Cyborgs sind (z. B. Donna Haraway).
Was Technikmonster über uns verraten
Stark: Ein großer Mann hat einmal gesagt: Wir erschaffen unsere eigenen Dämonen.
(Iron Man 3)
Obwohl sich die „Iron Man“- und „Avengers“-Filme vordergründig um Superhelden drehen, verschwimmen die Grenzen zwischen heldenhafter Technik und monsterartiger Technik, die dem Menschen zur Gefahr wird. So kann die Iron Man-Rüstung in falschen Händen eine große Gefahr darstellen. Ivan Vanko erfindet eine ähnliche Rüstung und greift damit Menschen an. Selbst Stark treibt auf seiner Geburtstagsparty viel Unsinn mit der Iron Man-Rüstung und verliert die Kontrolle. Nicht nur der Iron Man-Anzug, sondern auch die Avengers werden von der Politik als gefährlich eingestuft. Zugegeben, Hulk ist Avenger-Held und Monster zugleich und ist selbst für seine Freunde eine Bedrohung. Besonders stark kommen die Monsterfantasien in den „Avengers“-Filmen zum Ausdruck, wo die Roboterarmeen der Feinde bestialischen Tieren oder Fabelwesen ähneln.
Jeffrey Jerome Cohen (1996) (Die Aussagen zur Monstertheorie in den nächsten beiden Absätzen beziehen sich auf Cohen (1996)) zeigt mit sieben Thesen zur „Monster Culture“ auf, wie die verschiedenen Monster in Literatur und Film Aufschluss über unsere Kultur geben. Sie ziehen sich schon seit der Antike durch die Geschichte (z. B. Zombies, Vampire, Werwölfe, Frankenstein, das Ungeheuer von Loch Ness, Hydra oder Skylla). Das Monster entpuppt sich als eine Projektion unserer Ängste und Sorgen, Begierden und Sehnsüchte. Es lebt in einer entfesselten Welt, ist nicht an die Gesetze von Raum und Zeit gebunden und entzieht sich unseren traditionellen Kategorien von Ethnie, Kultur, Geschlecht und Sexualität. Cohen bezeichnet dies als „ontologische Liminalität“ (1996: 6) des Monsters. Dabei bewacht es als eine Art Grenzwächter die Grenzen, die es selbst überschreitet: Es warnt die Zuschauer/-innen oder Leser/-innen davor, bei Grenzüberschreitung selbst zu Monstern zu werden, d. h. abstoßend und missgestaltet, unzivilisiert, animalisch und sexuell entartet, gefühlslos, ohne Tugend und geistige Stärke.
Dazu wird in den Körper des Monsters Differenz eingeschrieben: kulturelle, ethnische, geschlechtliche oder sexuelle Andersheit (z. B. weibliche böse, verführerische Monster in einer frauenfeindlichen Kultur; dunkelhäutige, unzivilisierte Monster, um sich von einem anderen Volk abzusetzen). Nicht selten hatten Monster in der Geschichte die Funktion, Herrschaft zu legitimieren, die Vertreibung eines Volkes zu rechtfertigen oder repressive Sexualmoral durchzusetzen. Sie müssen in dem historischen, sozialen, politischen und kulturellen Kontext untersucht werden, in dem sie entstanden sind. Auf diese Weise ist das Monster Kultur pur. Doch im gleichen Maße wie das Monster abstößt, zieht es auch an und wird Projektion von Begierden und Sehnsüchten (wie die Helden). Die entfesselte Welt des Monsters gibt Raum für gewaltvolle, sexuelle, unkonventionelle Fantasien, für die in der Gesellschaft kein Platz ist.
Während Stark und Dr. Bruce Banner mit künstlicher Intelligenz basteln, erschaffen sie versehentlich selbst ein Monster. Ultron wird im zweiten „Avengers“-Film zur großen Gefahr für die Menschheit. Welche Differenz wird in ihn eingeschrieben? Ultron ist so, wie man sich böse, verselbstständigte künstliche Intelligenz vorstellen könnte: ein dunkel gepanzertes, roboterartiges Technikmonster, von der Statur einem Menschen ähnlich, aber ohne organische Grundlage, das gefühlslos ist und ein Normen- und Wertesystem hat, welches nicht mit unserer Gesellschaft verträglich sind. Ist nicht auch Ultron ein unserer Kultur entspringendes Monster, das Grenzen bewacht? Es zeigt unsere Angst vor einer künstlichen Intelligenz, die sich der menschlichen Kontrolle entzieht und das Menschsein überwindet. Es warnt vor einer unpersönlichen, kriegerischen Roboterwelt ohne soziale Gemeinschaft und Natur. Unterstützt wird dies in den „Avengers“-Filmen durch viele posthumane Visionen.
Als Stark und Banner ein zweites Mal mit künstlicher Intelligenz experimentieren, gelingt es ihnen schließlich, den Androiden Vision zum Schutz der Menschheit zu erschaffen. Vision sieht einem Menschen viel ähnlicher als Ultron (z. B. Augen), ist liebesfähig (Beziehung mit Wanda Maximoff) und wird zum Helden, der sein Leben für die Menschen opfert. Untermalt wird dies mit bibelähnlichen Aussagen wie „Ich bin auf der Seite des Lebens“ (Avengers 2). Allen Ernstes zitiert Vision in der deutschen Version sogar Exodus 3,14:
Vision: Ich bin nicht Ultron, ich bin nicht J.A.R.V.I.S. Ich – bin – der – ich – bin. (Avengers 2)
Ethische Fragen
Monster fragen uns, warum wir sie erschaffen haben (Cohen 1996: 20). Die vielen Technikmonster unserer Zeit zeigen unsere Technikängste und -sehnsüchte, die sich übrigens nicht selten mit religiösen Vorstellungen überschneiden. Mit Monstern bewachen wir von uns selbst gesetzte Grenzen. Eine ethische Auseinandersetzung mit Technik muss sich der Frage widmen, welche Grenzen wir setzen wollen. Was ist das „Menschliche“, das wir so dringend vor Technikeingriffen bewahren wollen? An welchen Normen und Werten wollen wir uns orientieren? Wie viel und welche Technik wollen wir in den menschlichen Körper implementieren? Grenzziehungen sind wichtig, insofern sie Orientierung und Identität stiften sowie Handeln erst möglich machen. Aber die Untersuchung von Monstern kann uns auch dazu auffordern, unsere bisherigen Grenzziehungen zu hinterfragen. Technikmonster, die nicht mehr in unsere Kategorien von Ethnie, Kultur, Geschlecht und Sexualität passen, können ein Ansatzpunkt sein, unsere eigenen Kategorien offener zu denken.
Darüber hinaus berühren die „Iron Man“- und „Avengers“-Filme viele weitere ethische Fragen. Zum Beispiel ist „Stark Industries“ ein Rüstungsunternehmen, das Technik zur Waffenproduktion nutzt, bevor Stark dies einstellt. Ist der Iron Man-Anzug eine „Iron Man-Waffe“ oder eine „High-Tech-Prothese“, die Teil von Starks Person ist? Damit hängt die Frage zusammen, wer Zugang zu solchen Ausrüstungen haben sollte. Gehören sie dem Staat? Wir können darauf gespannt sein, welche philosophischen Fragen und Herausforderungen der neue „Avengers“-Film mit sich bringt.
Literaturempfehlungen:
Cohen, Jeffrey Jerome: Monster theory. Reading culture. Minneapolis 1996, besonders S. 3–25.
Graham, Elaine L.: Representations of the post/human. Monsters, aliens and others in popular culture. New Brunswick et al. 2002.